Ich und meine Gegner

Kopfkeks, Misanthropie
“Glaubst Du wirklich ich hätte Dich nicht auf Anhieb erkannt?”
Meine Stimme hallt durch den kleinen Raum. Durch das halb zerbrochene Fenster fällt ein Sonnenstrahl, der die Luft zu zerschneiden scheint. In seinem Licht tanzen kleine Staubpartikel hin und her und von draussen hört man deutlich den lauen Wind in den Baumkronen rauschen.
“Ich habe mich hierher zurückgezogen um alleine zu sein.”
Keine Reaktion.
“Und das weißt du.”
Ich atme tief durch. Aus dem Kipplaufverschluß meiner Schrotflinte schleicht noch immer der Qualm des letzten Schusses. Wie die Sünde aus der Bibel schlängelt er sich das glänzende Metall entlang um dann geräuschlos gen Boden zu sinken und sich nach einem kurzen Augenblick im Nichts aufzulösen.
Jetzt, in diesem Moment könnte ich das gerne auch.
“Es wird Zeit sich mir zu zeigen. Du hast hier nichts verloren.”
Mein Tonfall wird fordernd. Das hatte noch nie etwas gebracht, aber vielleicht war heute anders. (“Vielleicht“. Ich war dieses Wortes so müde.)
Aber es bleibt still. Die Sekunden zwischen meinen Gesprächen mit den Kacheln an der Wand enthalten ein riesiges alles umhüllendes Nichts. Als wäre ich hier alleine. Als hätte ich mir den Schatten im Augenwinkel nur eingebildet. Habe ich aber nicht. Ich weiß genau daß er hier ist.
Eigentlich habe ich Angst, die Waffe nachzuladen. Das Einsetzen der Patronen bietet mehr als genug Zeit um mir in den Rücken zu fallen, aber ohne Schutz bin ich…
“Was redest du Dir ein. Schutzlos bist Du doch so oder so.”
Verdammt. Er hatte mich.
“Ich kann kommen und gehen wie es mir gefällt. Du warst die längste Zeit in der Kontrolle deines Körpers.”
Seine Stimme ist warm und vibrierend, direkt in meiner Wirbelsäule. Jeder S-Laut jagt mir einen Schauer durch den Körper und das Ende seiner Sätze ist vor Vibrato kaum noch zu verstehen.
“Es geht hier nicht um meinen Körper.”
“Ach nein?”
“Nein! Du bist nur in meinem Kopf!”
Ich verliere die Beherrschung, meine Stimme wird lauter. Verdammt, wieso kriegt er mich jedes Mal so weit?
“Spürst du ihn?…” fragt er mich langsam und genußvoll.
“…Den Kontrollverlust? Ein wunderbares Gefühl. Warum nur sträubst du dich dagegen, lass es doch einfach geschehen. Früher oder später… was macht das noch für einen Unterschied?”
Wenn ich mir diese Frage nicht schon so oft selbst gestellt hätte, könnte ich ihr vielleicht etwas entgegnen. Etwas laut sagen, das mir Mut macht, weiter wach zu bleiben.
Tatsache ist aber, daß ich nicht mehr zählen kann, wie oft ich schon vor dieser quälenden Entscheidung stand. Weitermachen? Oder Aufhören? Aufgeben? Sich geschlagen geben?
“Geben und Nehmen, so heißt es doch, oder?” summt die Stimme in meinem Nacken.
“Warum gibst Du mich dann nicht frei und nimmst dir jemand anderen?” frage ich ins Leere.
“Niemals.”
Seine Stimme klingt so entschlossen, daß meine Schultern schlagartig noch ein Stück schwerer erscheinen.
“Ich werde Dich in Fetzen reißen, für das was Du getan hast. Du kanntest das Risiko das Du damals eingegangen bist.”
Kannte ich nicht. Damals. Heute weiss ich genau über Risiken Bescheid, man könnte sagen es hat sich zu einer Art Beruf entwickelt.
Mit einem metallischen Schnapplaut lade ich die Flinte nach. “Ich habe immernoch eine Wahl.” zische ich und drücke mir den Lauf unter mein Kinn.
“Dazu fehlt dir der Mut.” murmelt die Stimme.
“Du kanntest das Risiko, als du mich gewählt hast!”
Ich habe zum ersten Mal seit Monaten für den Hauch eines Momentes das Gefühl, am längeren Hebel zu sein.
Die Kontrolle zurück zu gewinnen.
Jeder Millimeter, den ich den Abzug mit meinem Zeigefinger durchziehe, bringt mir ein Stück Macht über mich selbst zurück und ich muss mich fragen, wieviel davon ich wirklich haben will.
“Und du glaubst wirklich, dass DU dich allein vor diese Frage gestellt hast?”
Noch bevor ich mir darüber Gedanken machen kann löst sich der unsichtbare Griff in meinem Nacken und ich bin plötzlich wieder alleine in dem Zimmer. Meine komplette Wahrnehmung hat sich mit diesem Augenblick völlig verändert. Ich spüre den kalten Schweiß auf meinen Schläfen, die zittrige Hand am Abzug der Waffe und den harten Stahl der unangenehm auf meinen schlecht rasiertden Hals drückt.
Mit einem Mal erscheint mir die Welt in all ihren Details dreckig und unbedeutend. Egal was hier passiert ist oder hätte passieren können hätte den unbarmherzigen Lauf der Zeit nicht beeinflusst. Mir wird wieder einmal klar, wie klein ich bin- und wie groß das Ziel, das ich mir selbst gesteckt habe.
Entkräftigt lasse ich die Waffe sinken. Mein Kopf folgt ihr, und an den salzigen Perlen auf meiner Wange rennen Tränen mein Gesicht entlang, als würden Sie vor meinen Augen fliehen. Oder aus meinem Kopf.
Jetzt, in diesem Moment könnte ich das gerne auch.