Kalle gibt den Ton an.

Berliner Weisheiten, Misanthropie

Die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin sind Transportmittel für menschliche Randgebiete aller Art.  Jeder Hinz und Kunz wird Tag und Nacht von A nach B kutschiert- mit Hunden, Kinderwägen und Ikea Einkäufen im Schlepptau drängelt sich die breite Masse in U und S Bahnen um nicht selten wenige hundert Meter Fußweg zu sparen. Für jeden vernunftbegabten Menschen muss dieses Theater ein sehr zweifelhaftes Schauspiel sein: man könnte meinen, dass bei all den Touristen, Bier saufenden Bau- und Börseaffen und Handy-Ghettoblaster Gangster Klappspaten die schiere Nähe einer Haltestelle ausreicht, um das Gehirn auf Halbmast zu hängen.

Dabei ist es doch gar nicht so schwer. Mit einigen wenigen simplen Regeln kommt man auch hier problemlos zurecht, ganz ohne anderen Mitmenschen stets und ständig im Weg zu stehen oder ihnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf den Keks zu gehen. Das fängt schon bei den Treppen zu den Gleisen an. Links stehen, rechts gehen. Das ist nun wirklich nicht schwer zu merken. Links stehen, rechts gehen. Nicht links stehen, rechts stehen. Und ganz besonders nicht „Direkt nach dem Verlassen der Rolltreppe stehen.“ Jedem Besucher dieser Stadt, der seinen Liniennetzplan auffaltet sobald sein Fuß die letzte sich bewegende Stufe verlassen hat möchte man von hinten eine stumpfe Axt in den Schädel rammen. Überhaupt scheint es so, als wären sich Touristen wie leicht bis mittelschwer unterbelichtete Mitbewohner in keiner Situation der Tatsache bewusst, dass sie nicht alleine unterwegs sind sondern sich hinter ihnen und ihren grenzdebilen Überlegungen, welchen Klingelton sie als nächstes für alle hörbar durch das Abteil schallen lassen sollen, noch andere Menschen befinden. Ich werde nie verstehen, warum man in eine Bahn steigt, noch in der Tür innehält, sich 3 mal nach links und rechts umdreht um jede sich bietende Sitzgelegenheit gegeneinander aufzuwiegen und dann doch lieber stehen bleibt- direkt neben dem Eingang natürlich. Diese Disziplin erfreut sich auch in den Bussen enormer Beliebtheit- hier werden auch gerne zusätzlich sämtliche Hinweise der kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehenden Busfahrer ignoriert, dass man sich bitte aus dem Türbereich entfernen soll. Wer käme denn auch darauf, sich hier angesprochen zu fühlen, bloß weil man in einem rot eingezeichneten Bereich steht auf dem zwei durchgestrichene Füße zu sehen sind.

Ja, die Berliner und ihre Touristen nehmen die Aufforderung „zurückbleiben bitte“ doch sehr wörtlich. Wirklichen Umgang mit den Öffis haben eigentlich nur zwei Gruppen: Berufspendler und Bahnbettler. Doch wer hier auf angenehme Mitfahrer hofft, irrt. Zwar sind diese Gesellen äußerst routiniert in dem was sie tun, aber nichts desto trotz immer noch über alle Maßen anstrengend.

Berufspendler treten täglich von etwa 5 bis 9 Uhr in allen gegebenen Verkehrsmitteln auf und sind sehr leicht zu erkennen: müde starren sie mit trost- und geistlosen Blicken schwarze Löcher in die Atmosphäre und wirken wie eine kollektive Trauergemeinde auf dem Weg zur Beerdigung. Zwar nimmt die intellektuelle Anwesenheit in den Blicken dieser Spezies mit voranschreitender Uhrzeit exponentiell zu. Dafür allerdings auch das Bedürfnis, das morgendliche Frühstück nicht wie Andere auf dem Küchentisch zu erledigen, sondern in der Bahn. Egal ob sitzend, an eine Wand gelehnt oder bei jeder Haltestelle frei schwankend zwischen den Fluren umherstolpernd- gekrümelt wird überall. Ich glaube, der Mensch gibt viel von sich preis wenn er beim Essen beobachtet werden kann- und was man hier jeden Morgen zu sehen bekommt, lässt erahnen, dass die mentale Verkümmerung auch vor lackschühchentragenden Schlipsproleten keinerlei Halt gemacht hat.Eher im Gegenteil: je besser der Anzug geschnitten, desto mehr Reste vom Sandwich landen darauf. Ein Naturgesetz, welches einen an besonders geeigneten Tagen jede Lust auf weitere soziale Kontakte aller Art – und auf Essen – verderben kann.

Krümelfreier, aber deswegen nicht im Geringsten weniger appetithemmend sind die angesprochenen Bahnbettler. Zahn- und talentlos klimpern, tröten und lallen sie sich die Abteile entlang und wollen Geld für schlechte Musik, nutzlose Zeitungen oder auch gerne für gar nichts. Einfach so. im Glauben an das gute in der Menschheit. Ausgerechnet in der Bahn. Der Wiege jeden menschlichen Elends, dem Sammelpunkt für gruppendynamische Vollverblödung. Manch ein Tourist fällt natürlich trotzdem darauf rein und gibt Kalle und Co ein wenig Kleingeld- ob er ihn nun für seine Darbietungen bezahlt oder dafür dass er damit aufhört, sei dahingestellt. Kallele freut sich ein weiteres Loch und zückt nachdem er bei der nächsten Station ausgestiegen ist gleich sein Iphone um der Zentrale seinen Erfolg zu melden. Und während er so in der Tür steht und eine SMS schreibt, versuchen schon Andere wieder sich an Kalle vorbei zu drängen um vom alltäglichen Bahn-Wahn auch ja nichts zu verpassen.

Berliner Szenegedanken.

Berliner Weisheiten, Kopfkeks

Heute um 19:31 Uhr war irgendwie wichtig. Der Tag war genau so lang wie die Nacht, oder so. Ich war im Mauerpark, aber der Frühling irgendwie nicht. Trotzdem war ich nicht alleine- neben den üblich nervigen Touristen welche allesamt die ach so alternative Berliner Kunst- Kultur- und Hippieszene gebucht hatten fand sich dort der sonntägliche Flohmarkt.

Überladen mit Fimuwürstchen verkaufenden Soziologiestudenten und der deutschen Sprache kaum mächtiger Technik- Tee- und Teppichverkäufern. Wer wollte, fand hier- wie sonst jeden Sonntag auch- wirklich jeden erdenklichen unbrauchbaren und unter Garantie hässlichen aber weil auf dem Berliner Szeneflohmarkt gekauften dennoch die Freunde zu Hause neidisch machenden allerletzten Mist. Es konnte einem schwindelig von den vielen wahl- und planlos aufeinandergestapelten Angeboten werden- nur warm wurde einem nicht. Wie erwähnt hatte der Frühling die Verabredung vergessen und uns alle sitzengelassen- die Sau.

Trotzdem oder gerade deswegen sah man viele junge Spinner die ihre Kleidung nach dem krassen “EntwederOder” Prinzip gewählt hatten: In der blauen Ecke (oder unter der blauen Decke) diejenigen welche in kurzen Hosen und Sonnenbrillen ihre käsigen Schenkel spazieren trugen; und in der roten Ecke das verfrorene Volk das immernoch genau so rumläuft wie bei -16 Grad und Frost im Schritt. Und trotzdem kommt jedes Jahr bei den Männern im Kreis die Frage nach dem Sinn für die Übergangsjacken der Frauen auf, aber damit beschäftige ich mich ein andern Mal.

Jedenfalls- um halb Acht, als alle Touris schon ihre Fahrräder gekauft oder geklaut hatten- standen wir noch bei den Vorbereitungen für das alljährliche Frühlingsfeuern. Soll heissen: Viele Menschen treffen sich um gemeinsam an einer Stelle Poi oder Stab oder Devilstick oder sonstwas anzuzünden und herumzuwirbeln. Viele viele Hobbyknipser mit vielen vielen Hobbykameras waren da, einer hat auch gefilmt und irgendjemand wahnsinnig berühmtes aus der Poiszene war auch vor Ort- wurde aber wenig bis garnicht beachtet, weil unter zwei Dutzend teilweise in Flammen stehenden langhaarigen Alternativen fällt der eine, der es richtig kann, eben kaum auf.

Egal, es geht ja auch um den Spaß, die Show, das gemeinsame Erlebnis. Darauf konnte ich allerdings irgendwann dankend verzichten- als meine Hände schon geschwollen und meine Beine de facto kaum mehr als Holzklötze an meiner Hüfte waren, ging man mit Anhang gen Wohnung. (Die nebenbei kaum mehr beheizt ist, als der Mauerpark.)

Und so, wie die Touristen auf dem genannten Flohmarkt ihr sauer zusammengespartes Urlaubsgeld verlieren habe ich schon längst den Faden verloren.

Egal. Muss wohl das Wetter sein.