Hauptstadtgeschichten

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Gestern war ich in der Ringbahn, und hörte so vor mich hin ein bisschen Musik. Ich dachte an nichts Böses, als ich plötzlich ans Schienbein getreten wurde. Und zwar von einer älteren Dame im Rollstuhl, die mich schon offensichtlich länger versucht hatte anzusprechen, was ich nicht mitbekommen hatte, weil ich ja Musik hörte.
Ich nehme also die Kopfhörer ab und sie sagte zu mir (Zitat):
‘SIE HELFEN MIR JETZT BEIM AUSSTEIGEN’.

Ich war noch etwas verwirrt, da fing sie schon an zu erklären wie genau das vonstatten gehen würde: sie würde rückwärts aus der Straßenbahn raus fahren, und ich müsste ihr von hinten eine Stütze sein damit sie nicht rückwärts umkippt. Sie erklärte (Zitat)
‘SIE MÜSSEN OBEN DAGEGENHALTEN’. Jetzt waren aber auf der Rückseite des Rollstuhls ungefähr drei Griffe und die Lehne und zwei oder drei Knöpfe. Als ich sie danach fragte, wo genau ich sie denn oben festhalten solle weil ich ja nichts kaputt machen will, entgegnete sie (Zitat)
‘IST “OBEN“ WIRKLICH SO SCHWER ZU VERSTEHEN?’ eine reizende alte Dame…

Da ich meine Unterlagen zum Lernen dabei hatte, bot sie an diese auf ihrem Schoß festzuhalten solange ich ihr helfen würde.
‘ABER SIE MÜSSEN SCHON SELBER DRAN DENKEN DASS ICH DIE HABE, DA HAB ICH NÄMLICH KEINE LUST DRAUF’.

Im Nachhinein beschleicht mich das Gefühl, dass diese Frau einfach so faul war dass sie sich einen Rollstuhl organisiert hat, obwohl sie perfekt laufen konnte.

Ein Leben ohne Facebook II

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Durch den Umstand eines Umzuges zwischen den Jahren und dem damit einhergehenden Mangel eines Internetanschlusses kam ich erst zum 2. Januar dazu, mich bei Facebook abzumelden. Da ich wie erwähnt die letzten Tage ohnehin keinen Zugang zum Internet hatte, war mein Gefühl bezüglich des Abgangs aus dem sozialen Netzwerk inzwischen ein Anderes als noch vor wenigen Wochen.
Kurz nach dem Entschluss, Facebook den Rücken zuzukehren ereilten mich schon die ersten Zweifel und Sorgen, danach zu vereinsamen. Nie wieder zu Partys eingeladen zu werden und überhaupt den kompletten Ablauf des modernen Internets zu verpassen. Tatsächlich war die Angst, Bekannte aus den Augen zu verlieren und vielleicht sogar echte Freundschaften aufs Spiel zu setzen eine kleine Weile lang sehr aktiv. Ich war mir sicher, ich würde mich mit nicht nur auf dem Bildschirm buchstäblich abmelden.

Ich postete zwei Mal von meinem Vorhaben und dass ich mich über Email Adressen und Handy Nummern sehr freuen werden. Die Reaktionen darauf waren eher verhalten, ein Post mündete in eine kleinere Diskussion ob des Sinns meiner Aktion und der zweite sammelte immerhin noch zwei oder drei Likes. Wirklich viele gemeldet haben sich allerdings nicht, und da ich niemanden damit behelligen wollte ging ich am 2. Januar nur mit einer Handvoll Kontaktdaten aus den Büchern der Gesichter heraus. Bis dahin hatte ich aber, wie schon erwähnt, keine allzu großen Sorgen mehr um mein soziales Umfeld.
Zum Einen hatte sich durch meine gezwungene Abwesenheit bewiesen dass sich Freunde auch ohne Facebook in meiner (neuen) Wohnung einfinden und zum Anderen wurde das Bedürfnis regelmäßig meine Chronik zu kontrollieren, um zu sehen wer vielleicht etwas Interessantes geteilt haben würde, mit jedem Tag schnell weniger.

Und so kam es, dass ich mich also ein letztes Mal einloggte; zwar einige rote Zahlen am oberen Bildschirmrand sah, aber diesen keinerlei Beachtung schenkte. Der Weg zur Abmeldung war erstaunlich leicht zugänglich – binnen zwei Klicks sah ich den Button “Konto löschen”. Einmal betätigt begann sich dann allerdings “das Ding”, das sich Facebook nennt, heftig gegen sein drohendes Schicksal zu wehren.
Zuerst wurden mir einige Fotos von Freunden gezeigt. “Mit all diesen Freunden kannst Du nicht mehr schreiben, wenn Du dich wirklich abmeldest!” Mir kamen die Tränen. (nicht.) Der erste plumpe Versuch scheiterte kläglich. Unbeeindruckt bestätigte ich meine Verdammung zur ewigen sozialen Isolation.
Jetzt kamen die ersten Fehlermeldungen: Seiten, bei denen ich Administrator war, Gruppen deren Mitglied ich war und Spiele, die ich (mehr oder weniger bewusst) gespielt hatte – jeder durfte sich einreihen in die Schlange der zu bestätigenden Meldungen, die mich an meinem Vorhaben hindern sollten. Die ersten Hinweise las ich noch aufmerksam durch; irgendwann wurde es mir aber zu blöd und ich klickte einfach fleißig auf der Stelle und kam so endlich zu meinem letzten Akt auf der Blauen Bühne der Gläsernen Daten. Ich wurde zur Facebook Login Seite zurückgeleitet und war frei.

Tatsächlich stellte sich einen kleinen Moment lang ein winziges Gefühl von triumphaler Freiheit ein. Als hätte ich eine winzig klitzekleine Kette gesprengt. Eine ideelle, nicht greifbare Mini-Kette. Herrlich. Mann, hab ich Facebook in den Arsch getreten. Ha. Ich bin ja so individuell, und all den Anderen, die angemeldet bleiben um einiges voraus. Die werden schon sehen, was sie davon haben!

Der Moment hielt wie gesagt nicht lange. Irgendwie war das Bezwingen des inneren Online Stalkers doch kein so wichtiger Lebensabschnitt wie erwartet; und so löschte ich Facebook aus den Favoriten und war mit dem Thema durch. Mir war klar, dass ich schon lange viel mehr aus Gewohnheit als aus Nutzen noch angemeldet war, und überraschenderweise war die Gewohnheit schnell abgewöhnt, als würde einem mit dem Ausdrücken der letzten Kippe des Tages zwar klar, dass man keine neuen mehr hatte – aber man sah auch keinen Nutzen darin, sich welche zu besorgen.

Der Abschied war also leicht – ob die langfristigen Schäden am reellen sozialen Netzwerk wirklich noch eintreten, bleibt abzuwarten. Aber ehrlich gesagt bezweifle ich es sehr, dass ich irgendetwas oder -jemanden vermissen werde. Es gibt schließlich immernoch Smartphones, Emails, SMS, Telefon und spontane Besuche – von alten Freunden in neuen Wohnungen.