Wenn Kackbratzen nicht alleine sterben wollen.

Kopfkeks

Ich behaupte mal, dass ich den Großteil der Beweggründe der meisten Menschen um mich herum und von denen ich lese verstehen kann. Wobei ich hier grundsätzlich unterscheide zwischen verstehen und nachvollziehen – denn nur weil ich verstehen kann, dass jemand für seine Überzeugung bereit ist wirklich alles zu tun kann ich noch lange nicht nachvollziehen warum er dabei andere Menschen in den Tod reißen muss.

Es gibt jedoch Dinge, die entziehen sich meiner Vorstellungskraft. Entscheidungen, bei denen ich mich mit offenem Mund fragen muss: Was zum Geier hat diesen Typ dazu geritten? Das sind zum Teil Dinge, die jede noch so grenzdebile Blödfichte unter keinen Umständen tun würde! Egal wie rotzglockendämlich manche Menschen sein mögen, es gibt einfach Dinge bei denen man sagt: “ICH BIN DOCH KEIN IDIOT!”. Das ist doch so eine Art natürlicher Schutz, ohne den jeder einzelne Neandertaler versucht hätte herauszufinden ob er nicht doch fliegen kann oder vielleicht mit dem Säbelzahntiger von der Höhle nebenan im Winter schmusen darf.

Doch offensichtlich hat uns die Evolution hier einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn dieser Instinkt verpufft scheinbar mit Anfang 20 und kehrt erst in den 30ern zurück. Ich schreibe hier vom Plan mancher Leute, ihr Leben in Windeseile in den Sand zu setzen. Diese mentalen Tiefflieger entscheiden sich ganz bewusst total spontan alles wofür sie bisher standen und was ich an ihnen sympathisch fand über Bord zu werfen und sich einen völlig neuen und modischen Charakterzug eigen zu machen: Sie werden zu Kackbratzen. Junge und aktive Leute mit Träumen und Idealen wollen plötzlich Sicherheiten, geben sich mit den absurdesten Dingen zufrieden und jagen Zuständen hinterher, die für alle Nichtbetroffenen eher Fluch als Segen wären. Jeder kennt dieses Kackbratzen-Phänomen, wie haben es alle schon erlebt, denn es hat viele Gesichter. Einer der Klassiker ist allerdings dieser:

Menschen, die selbstbewusst auftreten, unabhängig sein wollen und gerne auf den Putz hauen, ja, Menschen mit denen man buchstäblich Pferde stehlen kann, hatte jeder schon mal im Freundeskreis. Irgendwann lernen diese Draufgänger dann jemanden kennen – und finden diesen Jemand auch sympathisch. Gut, wir wundern uns, denn “Jemand” ist ein bisschen träge, fad und so gar nicht spontan. Wir denken uns dabei nichts weiter und auch die Tatsache, dass sich unser cooler Freund plötzlich nur noch reaktiv und bestenfalls sporadisch meldet ist noch kein Alarmsignal für uns – bis wir auf einmal eine Nachricht bekommen mit Inhalten wie “Wir sind verlobt!” oder gar “Wir erwarten ein Kind!”. Wir bekommen den verdutzten Gesichtsausdruck gar nicht so recht aus der Visage – wie kann es denn sein, dass man sich drei Monate kennt und dann meint heiraten zu müssen? Mit Anfang 20?! Sind die denn noch ganz bei Trost?

Ich meine- klar, das “2-Menschen-mutieren-zu-einem-grässlichen-Mischwesen”-Phänomen aufkeimender Liebesbeziehungen ist hinlänglich bekannt. Irgendwann heißt es nur noch “wir” wollten heute einen gemütlichen Abend machen und “wir” kommen gerne zu deiner Party (Auf der das Wesen “Wir” dann auch aneinanderklebt wie die Pest und somit jeden sozialen Kontakt zu alten Freunden im Keim erstickt). Das passiert jedem irgendwann mal und ist somit irgendwo legitim. Widerlich – aber legitim. Aber heiraten? Kinder kriegen? Mit einem Kerl den man seit nicht mal einem halben Jahr überhaupt kennt? Ist das dann die berühmte Torschlusspanik? Muss man jenseits der 20 schon Angst haben, alleine zu sterben? Es will mir nicht in den Kopf! Das ist Kackbratzenlogik – aber nichts für mich!

Anderer Klassiker, allerdings im gleichen Alter vorkommend: Eben diese (bisher) coolen und lässigen Menschen, die ihre Ausbildung zum Was-auch-immer gerade fertig haben, sich eine Stelle suchen und dann allen ernstes mit einem Lächeln im Gesicht sagen können: “Ja. Das isses dann für die nächsten 40 Jahre.” Wo ist der Drang hin, die Welt zu erkunden? In großen Städten zu leben? Erfahrungen zu sammeln? Die größte Unabhängigkeit dieser Menschen bleibt der Auszug bei den Eltern und das wars. Welche schreckliche Krankheit muss diese armen Opfer befallen haben? Was treibt sie dazu?

Bei manchen geht das ja schon in der Schulzeit los: Typen, die mit 18 Jahren im Anzug zum Unterricht kommen und seit sie den Führerschein haben unbedingt einen auf “Ich bin wie mein Papi: Vernünftig und gesetzt. Yeah.” machen müssen. Sollte man nicht grade nach der Schulbank erstmal ein paar Jahre auf die Kacke hauen? Saufen? Das erste Geld für Blödsinn verprassen? Gegen einen Baum fahren?

Der dringliche Wunsch, so schnell es nur irgend geht erwachsen zu werden und seine Kindheit und Jugend vorzeitig abzubrechen, kann in meinen Augen nur nachhaltige Schäden hinterlassen. Irgendwann mit Mitte 40 wachen diese Kerle dann auf und bemerken: “Kacke – ich habs verpennt!” und machen sich dann zum Affen indem sie versuchen, die Zeiten nachzuleben die sie damals in Lackschuhen und Krawatte vergeudet haben. Ich für meinen Teil bin heilfroh, dass ich mein inneres Kind bewahren konnte – und würde es auch nie aufgeben. Was wenn nicht diese infantile Art, die einen manchmal einholt, bewahrt uns davor dem grauen Alltagstrott zu erliegen und zu eben dieser Art Erwachsener zu werden, die wir als Knirpse nie sein wollten: Angepasst. Wir wollten nie akzeptieren, dass es “nun mal so ist”, wollten nie aufhören nach Alternativen zu suchen, statt einfach alles hinzunehmen und uns zu fügen. Wir suchten nach einem Weg, unsere Träume zu verwirklichen – sei es nun mit dem Rucksack ein Jahr durch Irland zu wandern oder einfach seinen Traumberuf erlernen und sich volles Risiko selbstständig zu machen. Wir wollten immer die sein, die das Leben ficken bevor sie vom Leben gefickt werden – bis sich manche dazu entschlossen, sich tief zu bücken und zur Kackbratze zu werden.

Das traurigste aber am Kackbratzendasein ist, wenn sie früher als geplant merken, dass sie gar nicht wollen, was sie da leben. Wenn Menschen die einem einst lieb und teuer waren wenige Jahre nach ihren “Schnapsideen für den Rest ihres Lebens” auf einmal zu einem kommen und erzählen müssen, dass die Scheidung im Gange ist. Dass man nach einem Jahr Ehe gemerkt hat, dass es doch nicht das Wahre ist. Dass die Kinder nun aufgeteilt werden müssen. Sie bemerken ihre Fehlentscheidungen, die eine viel größere Auswirkung auf ihre Existenz haben als das Arschgeweih, dass sich manche genauso spontan und dämlich im Wahn ihrer Kackbratzenphase haben stechen lassen. Und dann ist es nicht selten zu spät.